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Dienstag, 30. September 2014

Nur Dasitzen ist ja Quatsch - Jörg Buttgereit im Renfield-Interview

Was macht einen vergnügt und froh? Die sieben Zwerge singen gerne, andere finden Squashing geil, wieder welche mögen Heimwerken und noch welche gucken sich bei runtergelassenen Rollladen Filme wie Schramm, Der Todesking und Nekromantik an.

JÖRG BUTTGEREIT kommt bei Lust und Genuss entspannt und lachend auf das Thema Arbeit. Aktuell entsteht GERMAN ANGST, das eine oder andere am Theater Dortmund und wahrscheinlich nebenbei noch viel mehr. Es ist Sonntag, ungefähr elf Uhr vormittags. Schweiß läuft, Haare werden verstrubbelt und T-Shirts gedehnt. Frauen sind im Hintergrund, und das Baby knötert, weil es vermutlich Hunger hat.
Dieses Interview erschien in Renfield-Zine No. 27.

Philip Nussbaum: Du wirkst dabei sehr froh, sehr glücklich im Moment...
Jörg Buttgereit: Ja, weil ich ein bisschen so nach dem Lustprinzip arbeite. Ist ja bei kreativer Arbeit eigentlich fast immer so, dass man das gar nicht so steuern kann, beziehungsweise sie nicht funktioniert, wenn man sich dazu zwingen muss.

P: Darüber möchte ich mit dir reden. Lust und Genuss. Epikur und so, nicht nur auf der Zunge, sondern auch grundsätzlich im Prozess.
J: Also, oft ist es halt die Beschäftigung mit den einzelnen Themen, die Spaß macht oder die mir was bringt, aber ich erinnere mich natürlich auch daran, dass die Umsetzung oft sehr beschwerlich war. Bei meinen Filmen damals war das immer alles andere als erfreulich. Was da alles schief gegangen ist und so! Da hatte es dann gleich immer existenzielle Auswirkungen. Wenn wir gedreht haben, war ich nach den zwei Monaten wirklich fertig auf der Bereifung. Das ist heute nicht mehr so, weil heute das alles etwas geordneter abläuft.

P: Bist du ein Genuss- oder Lustmensch? Wie schlägt sich das nieder, außer künstlerisch?
J: Ich denke schon, ja. Das ist ja alles immer schwer zu trennen. Ich achte schon darauf, dass alles etwa im Lot ist. Dass ich nicht zu viele Sachen mache, zu denen ich keine Lust habe – eigentlich überhaupt nicht. Die Produktionsbedingungen, wie man romantisch sagt, sind mittlerweile auch wichtig. Früher hab ich durch die Arbeit gelernt, da so survivalmäßig durchzukommen. Das sind jetzt eher selbstgewählte Ausnahmen. Ich hab jetzt gerade wieder so einen Musikclip gemacht für ne kleine Berliner Frauen-Band, HALF GIRL. Das sind Sachen, die mich eher an früher erinnern, wo ich einfach sehe, da ist überhaupt kein Geld, aber trotzdem so eine Energie. Und das mach ich dann, soweit die dann allein bei mir liegende Verantwortung den Spaß nicht mindert. Och, kannste uns nicht ein Video drehen? Dann habe ich meinen Freund geschnappt, der auch viele Super8-Kameras hat, den Frank Behnke, der das dann geschnitten hat. Das sind dann ein, zwei Drehtage oder ein Nachmittag, da ist das kontrollierbar und mir hilft natürlich die Erfahrung, die ich bei diesen harten Drehs damals gemacht habe. Dass ich einfach in diesem Chaos auch nicht verzweifle. D. h. da ist Kontrollierbarkeit das Entscheidende. Ich find’s natürlich schöner, wenn mir, wie jetzt am Theater Dortmund so eine Spielwiese hingestellt wird, alles drumrum geregelt ist und ich mich wirklich nur auf die künstlerische Umsetzung konzentrieren kann. Bei meinen Filmen früher war das ja so, dass ich wirklich auch die Produktion mitgemacht habe und an allem beteiligt war. Und das ist halt ziemlich zermürbend.

P: Vielleicht haben sich inzwischen deine Lebensrahmenbedingungen einfach auch geändert?
J: Ja klar! Damals konnte ich ja von den Filmen nicht leben. Und die Leute, die mit mir oder für mich diese Filme gemacht haben, konnten auch davon nicht leben. D. h. das kann man eine Zeitlang machen, solange man es durchhält, und wir haben es ja relativ lange gemacht. Ich hab die ersten Super8-Filme schon Ende der Siebziger gemacht, bis Mitte der Neunziger ging das, mindestens fünfzehn Jahre also. Aber irgendwann haben die Leute dann auch gemerkt Ich kann mir das nicht mehr leisten, umsonst für dich zu spielen oder zu arbeiten. Irgendwann wächst man da dann raus.

P: Arbeitest du jetzt pausenlos, oder hast du auch Phasen, wo du sagst: Jetzt sind andere Sachen dran?
J: Es ist so, dass ich in der Regel an drei verschiedenen Sachen auf einmal arbeite. Wenn ich jetzt am Theater bin und inszeniere, wenn ich also sozusagen gar nicht Zuhause bin, dann arbeite ich nur, da mache ich wenig anderes. Jetzt, im Sommer, ist ja recht wenig los. Ich habe gerade ein Hörspiel fertig geschrieben, da werde ich jetzt das Casting machen.
Zeitgleich schreibe ich ein paar Filmkritiken, PACIFIC RIM und all so was, was eben so rein kommt durch die Sommerblockbuster. Und dann wird im September dieses Hörspiel inszeniert, die Zeiten stehen schon fest. Das heißt, ich befinde mich jetzt zwischen zwei Projekten, was aber oft genauso intensiv ist, weil ich ja erst mal die Sachen schreiben und dann auch so durchboxen muss, beim WDR zum Beispiel. Und zeitgleich dann wieder die nächste Theatersache. Oder auch GERMAN ANGST. Wenn das klappt mit dem Crowdfunding, muss ich auch das Drehbuch dafür schreiben. Diese Sachen schweben alle so über mir. Im Prinzip, wenn alles so klappt, hab ich bis Februar zu tun. Aber das ist nicht so, dass ich hier, wenn schönes Wetter ist, nicht sagen : Ok, es ist mittags um zwölf, die Sonne scheint, ich verlasse meinen Schreibtisch.

P: Würdest du einen richtigen Break überhaupt aushalten?
J: Nee, das passiert aber eigentlich auch nicht. Weil man halt ständig im Kopf arbeitet. Ich hab ja auch zwei Kolumnen, die ich einmonatlich oder zweimonatlich abgebe. Schon deswegen mache ich immer irgendwas. Aber das funktioniert von alleine, das fühlt sich jetzt auch gar nicht unbedingt wie Arbeit an. Also, wenn ich ins Kino gehe und einen Film sehe, schreibe ich da im Kopf schon immer halb eine Kritik mit.

P: Ok, Standby gibt’s bei dir eigentlich gar nicht?
J: Nee. Dadurch, dass ich ja selbständig arbeite, hat sich auch so eine Disziplin entwickelt, glaube ich.

P: Disziplin wäre wieder ein bisschen was anderes als Lust und Genuss.
J: Ich denke, diese Kombination ist wichtig. Man muss eine gewisse Disziplin haben, um die Sachen gebacken zu bekommen, die man machen will, aber die Sachen, die man machen will, muss man halt machen aus dem anderen Grund. Nämlich weil man sie machen will und nicht, weil man sie machen muss. Aber wenn ich mir darüber bewusst bin, dass ich sie machen will, dann muss ich sie natürlich auch machen, weil: Ich will sie ja machen.

P: Die Disziplin und die Rahmenbedingungen bereiten das Spielfeld, auf dem dann das Eigentliche passiert.
J: Genau, man könnte es auch als Professionalität bezeichnen. Ich weiß ja, wie es geht, und muss es dann nur abrufen.

P: Oft scheint ein regulärer Job überhaupt keinen Platz mehr zu lassen für ein Sichdecken von Wollen und Sollen und Zufriedenheit.
J: So war es ja früher bei mir. Ich hab ja mal eine Lehre gemacht in einem Kaufhaus als Dekorateur, und fürs Filmemachen blieben mir immer nur die Wochenenden. Ich hab dann halt entschieden, dass diese feste Struktur, dieses immer das Gleiche Machen nichts für mich ist. Auf der anderen Seite hört man Leute sagen, sie würden damit nicht klarkommen, dass sie gar nicht wissen, ob sie im nächsten Jahr noch ihre Brötchen verdienen können. Wie ich jetzt gesagt hab, bei mir läuft’s jetzt bis Januar, Februar, aber danach ist überhaupt nichts. Das ist halt das, was man aushalten muss.

P: Quälen sich nur die Deutschen zwischen Lust und Frust?
J: Ich bin ja auch schon ein bisschen rumgekommen in der Welt. In Japan zum Beispiel, da sind die Leute völlig anders drauf. Für die ist der Schritt, den ich schon relativ früh gemacht hab, zu sagen „Ich mach jetzt nicht mehr das, was ich soll, sondern nur noch das, was ich will“ völlig unmöglich. Die sind fest eingebunden, identifizieren sich mit ihrer Firma und sagen dir gleichzeitig Sachen wie „Och, ich finde das ja auch schön, wenn ich so was auch machen könnte.“ Meine Antwort ist dann „ Ja, das liegt an dir, das ist mir ja auch nicht zugefallen, ich habe mich selbst entscheiden müssen, ich hab niemand danach gefragt.“ Das ist das Wichtige, schon ein wenig ähnlich wie hier.


P: Es gibt an einer Uni sogar eine Fakultät zum Thema Genuss und Lust. Da hat mal jemand das Thema Genussfähigkeit untersucht. Ergebnis: Im Süden genießt man unbeschwerter als im Norden, wo man sich fast schon zwingen muss.
J: Ich glaub, das hängt auch mit dem Wetter zusammen. Glaube ich wirklich, zum Beispiel auch in Spanien oder Italien sagt der Körper „Och, wenn’s warm wird, arbeite ich weniger.“ Also, ich glaube, damit hängt viel zusammen.

P: Du lebst als Berliner in einer Region, in der angeblich vor allem die Genusszweifler leben. Die möchten gerne frei sein und genießen, hemmen sich aber mit ihrer Angst vor Veränderung und Unsicherem.
J: Ja. Die Rahmenbedingungen sind ja auch unsicher. Aber das ist ja auch das Spannende. Ich fahre deshalb ja auch mehrgleisig. Das ist einerseits der Tatsache geschuldet, dass ich selbst auch immer was Neues machen will, also Hörspiel, Schreiben, Filme, Theater, was da alles so dran hängt, diese verschiedenen Sachen, das ist ein Lustgewinn. Zeitgleich ist es ebenfalls eine Absicherung. Wenn ich fünf Eisen im Feuer hab, klappen wahrscheinlich zwei oder drei davon. Es ist die Kombination aus beidem. Das eine bedingt das andere. Also, dieses Pochen auf Sicherheit bedingt, dass ich diese Vielfalt habe. Und umgekehrt.

P: Gibt’s für dich ein gelobtes Land oder einen gelobten Zustand, dass du sagst: „Ok, das war’s, jetzt setze ich mich hin ...“
J: Aber was soll ich denn machen? Nur Dasitzen ist ja Quatsch. Das Lustige ist, das die Sachen, von denen die anderen Leute gar nicht so glauben, dass die lukrativ sind, wie zum Beispiel die Theaterarbeit in Dortmund, die Sachen sind, von denen ich am ehesten lebe. Oder so ein Hörspiel in Dortmund. Oder ein Hörspiel für den WDR. Wo schlicht auch Tantiemen anfallen. Mehr, als wenn ich mich jetzt selber da hinsetze und einen Film mache. Oder einen Videoclip drehe. Das bringt nichts. Außer Spaß. Videoclips machen hat höchstens früher viel Geld gebracht, als die Musikindustrie noch funktionierte.

P: Außer Kunst und Film und Theater und irgendwie Dauerbetrieb – gibt’s Weiteres, bei dem du dich wohlfühlst, wo du sagst „Das hat jetzt nichts mit gar nichts zu tun, das ist nur Genuss und Lust“? Musik, Essen ...
J: Ja, ja, Musik natürlich, klar. Und Yoga zum Beispiel. Oder Kampfsport. Alles so Sachen mache ich auch. Nicht, um mich schlecht zu fühlen, sondern auch um in ein körperliches Gleichgewicht zu kommen.

P: Yoga hast du gesagt, Kampfsport ... Ist ja auch wieder die Mischung aus Disziplin und dem, was im Limbischen System abgeht.
J: Genau. Danach fühlt man sich ja wieder entspannt.

P: Ein langer Weg von 1977 bis 2013, eine wilde Reise von Protest und Wut zu Spaß und Zufriedenheit.
J: Ja, mittlerweile habe ich ja auch weniger mit Staatsanwälten zu tun, sondern mehr mit Leuten, die mir dann auch vertrauen.

P: Gibt’s einen Tipp für jemand, der vielleicht einfach nur am Band steht oder im Büro hockt? Wie kommt der zum Glück?
J: Naja, er muss vom Büro oder vom Band erst einmal weg. Sonst hat er die Voraussetzungen nicht. Man muss die Unsicherheit einfach in Kauf nehmen. Das geht auch erst im kleinen Rahmen, das wächst ja.
Ich hab mich neulich mal unterhalten mit jemand, der ein DVD-Label hat und der mit Inbrunst GODZILLA-Filme rausbringt. Und den hab mich mal gefragt „Wo kommst du eigentlich her?“ Und der sagt „Ich hab früher bei einer Autofirma am Band gestanden.“ Der hat irgendwann, und da war er nicht mehr so jung, gesagt: „Ich hör jetzt auf damit“ und hat angefangen, DVDs rauszubringen, hat ein Label gemacht. Ist irgendwie in so eine Unsicherheit gesprungen, und das war es dann. Bei mir war das ähnlich. Ich hab das relativ früh gemacht. Ich hab gemerkt, als ich diese Ausbildung gemacht hab:“ Ist ein toller Job, kann man bestimmt drin arbeiten, aber vierzig Stunden die Woche geht das nicht“, weil ich dann ja keine Zeit für mich habe.
Der Anspruch, was selbst da zu machen, war schon da.
Filmhochschule hat nicht funktioniert, Photographenlehre hat nicht funktioniert, hat alles nicht funktioniert. Als ich aus dieser Ausbildung raus war, wurde ich dann eh nicht übernommen, das war vielleicht Glück. Ich hab dann irgendwann angefangen als Filmvorführer zu arbeiten und fand das total romantisch und spannend. Und da hatte ich dann tagsüber Zeit, Sachen für mich zu machen. So fing das an. Wieder eine Kombination aus Sicherheit einerseits, also, diesem Minijob, und meinem eigenen Ding andererseits. Jahrelang hat ein Film dann den nächsten finanziert, davon leben konnten wir nicht. Jetzt kommt zum Teil das Geld rein von Sachen, die ich vor zwanzig Jahren gemacht hab. Also, wenn man da einen langen Atem hat, rentiert sich das dann irgendwann.


P: Von wegen des Ratschlags verstünde ich: Erstmal eine Sensibilität. Merken, da ist was, was mich zieht, dann Durchhalten...
J: Ich denke, es funktioniert halt nicht, wenn du eine Hypothek auf einem Haus und einen Job hast und in Abhängigkeit bist. Die Weichen müssen sicher so gestellt sein, dass du zur Not überleben kannst, wenn das alles nicht klappt. Man kann ja immer noch Scheißjobs machen. Wenn man aber den Job, den man hat, eh scheiße findet, ist es egal, ob man ihn jetzt schmeißt, verstehst du, was ich meine? Die Fallhöhe ist dann nicht groß. Wenn man was aufgeben muss, woran einem was liegt, wird es wahrscheinlich schwierig. Aber ich hatte nie den Eindruck, dass ich eigentlich die Wahl habe. Ich hätte einfach nicht vierzig Stunden in einem Kaufhaus arbeiten können. Die hätten mich dann irgendwann eh rausgeschmissen.

P: Das meinte ich mit Sensibilität.
J: Sensibilität ist gut. Man ist ja unzufrieden, das merkt man ja recht schnell.

P: Wahrscheinlich wäre die Steigerung, dass es einen anekelt. Real life splatter.
J: Ich kann mir überhaupt nicht vorstellen, wie andere Leute das machen, 40 Stunden irgendwo zu arbeiten. Ich kann mir auch nicht vorstellen, wie das zum Beispiel meine Frau macht, die einen ganz normalen Job hat. Finde ich auch bewundernswert, einfach weil ich mir das schrecklich vorstelle. Ich kenne das ja, so phasenweise habe ich das auch, wenn ich ein Hörspiel mache, dann werde ich ja vom WDR engagiert und habe Acht-Stunden-Tage, aber es ist halt nach zwei oder drei Wochen vorbei. Oder wenn ich für ARTE so eine Doku gemacht hab, dann sitz ich auch so lange am Stück im Schnittraum. Da hab ich dann auch schon so einen Kopf danach.

P: Das ist dann die Band- oder Bürovariante von deiner Spielwiese.
J: Genau. Nur dass man halt ein Ziel immer vor Augen hat, das ist dann die Kunst, in dieser Monotonie noch den Spirit am Leben zu halten. Man will ja dann auch was Gutes abliefern. Es ist ganz komisch. Ich erinnere mich auch, wenn ich gedreht hab, habe ich immer gesagt, weil das so aufreibend war und Vieles nicht funktioniert hat, dass ich dachte: „Na, wenn wir erst einmal abgedreht haben, dann kann ich faul aufm Arsch sitzen im Schnittstudio und mit nem Cutter das alles schön sortieren.“ Also, da habe ich mich drauf gefreut! Wenn ich dann aber im Schnittstudio war, habe ich das andere vermisst. Das geht dann auch immer hin und her.

P: Jörg, vielen lieben Dank, viel Spaß, viel Genuss, viel Rock‘n‘Roll und wenig blaue Flecken auf der Tanzfläche! Famous last words?

J: Dann werde ich jetzt mal zum See fahren.

Und das tut er dann auch. Die Sonne scheint, und es fühlt sich gut an. Das Baby ist auch wieder still. Warum auch immer. Im Hintergrund singen Lou Reed und John Cale ihre Songs for Drella.

Interview by Philipp Nussbaum

www.joergbuttgereit.com
www.buttgereit.info
www.german-angst.com

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