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Dienstag, 18. November 2014

Berlin stirbt

Eine Platte, wie aus der Zeit gefallen, hat letztes Jahr im Renfield-Hauptquartier für einiges Schmachten und Seufzen gesorgt: Das Artwork des Debutalbums von JO STRAUSS sieht aus wie eine Zigarettenwerbung aus den 70ern oder 80ern. Ein junger Mann schaut skeptisch bis Wütend mit einer Kippe in der Hand und über die Schultern geschlagenem Pulli in die Kamera. Die Musik: tief traurige und melancholische Songs in herrlichstem österreichischem Dialekt, so traurig, dass nur der Herbst als Jahreszeit zu diesem Soundtrack passt. Und dann trotzdem immer wieder diese Berlinbezüge da drin, von den Titeln und den Lyrics her. Wie passt das zusammen? Hat da jemand zuviel Hader, Qualtinger und Waits in die Melange gerührt und alles in einem Zug runtergespült? Gute Fragen, die an einem Wochentag – natürlich im Oktober - gestellt werden wollten und in der 27. Printausgabe des RENFIELD-Zines veröffentlicht wurde.

Gary: Hallo Jo, auf der Platte sind ja recht viele Songs mit Berlin-Bezug drauf. Gleich drei tragen Berlin sogar im Titel, darunter Berlin stirbt – woran denn?
Jo Strauss: Der aufmerksame Zuhörer bemerkt, dass es in „Berlin stirbt“ um Parkautoamten geht, die installiert werden. Also eine relativ unspektakuläre Sache. Berlin stirbt wie jede Stadt an den kleinen Veränderungen. Es sind die kleinen Freiräume, die einem da weggeknabbert werden.
Zum Beispiel darfst du heute hier nicht mehr gratis parken und morgen darfst du dort nicht mehr rauchen. In Österreich ist es so, dass man vor dem Bahnhof gar nicht mehr rauchen darf. Obwohl man quasi nicht mehr im Gebäude steht. Man ertappt sich dann dabei, dass man leise zustimmt, von wegen: Ok, ich hab schon Verständnis dafür. Die Stadt braucht ja auch Geld. Ich bezahl halt meine drei Euro fürs Parken. Man stimmt einfach zu, man stimmt so dem Sterben zu. Man sagt so: Ach das bisschen Rauchen, darauf kann ich schon verzichten, rauch ich halt woanders, aber am Ende des Tages wird man darauf kommen, dass man dem Sterben zugestimmt hat.

G.: Also sind es eher die kleinen Veränderungen, die den langsamen Tod herbeiführen?
J.: Eine signifikante Veränderung in Berlin war in Prenzlauer Berg, dass fürs Parken kassiert wird. Das war für mich immer ein großes Plus, dass du in Berlin dafür nichts bezahlst. in Österreich war das ja schon gang und gebe. Ich hab dann erst bemerkt, wie viele von diesen kleinen Freiheiten sterben.

G.: Wie ist das mit dem Nichtrauchen in den Cafés, ist das ein Riesenproblem für dich?

J.: Schwierig. Es geht viel vom Kaffeehausglamour weg. Wenn ich ins Kaffeehaus gehe, will ich ja nicht meine Apfelschorle und meinen frischgepressten O-Saft trinken, sondern ich will ein bisschen Glamour. Und ein bisschen Glamour geht auch mit Zerstörung einher. Wenn man jetzt die Raucher alle verbannt, dann hat man bald kein Kaffeehaus mehr, sondern eher sowas wie einen Zahnarztwartebereich.
Ich will die Raucher nicht in Schutz nehmen, aber ich will diese heiligen Orte in Schutz nehmen. Ich will auch einen Kaffee trinken dürfen und nen Bier und nen Wein, obwohl jeder weiß. dass das nicht gesund ist. So ist es mit dem Rauchen auch. Ich finde, man sollte in heiligen Orten wie Kaffeehäusern rauchen dürfen.

G.: Du hast gesagt, dass du in Berlin wohnst. Wie hat es dich denn von Österreich eigentlich hier hin verschlagen?
J.: Ich habe lange in Österreich gewohnt und habe dann gedacht, ich muss mich bewegen und so hat es mich nach Berlin gezogen. Ich hab viel davon gehört, hatte Bekannte dort und das hat sich angeboten, sprachbarrieretechnisch und finanztechnisch, weil es ja, verglichen mit den anderen großen Städten, leistbar war.

G.: Ich kenne recht viele Österreicher, die von Berlin total begeistert sind. da frag mich mich, man könnte ja als Österreicher auch nach Wien gehen, das ist ja auch eine große Stadt. was ist denn für Österreicher an Berlin so faszinierend?

J.: Wenn man als Österreicher nach Wien geht wird man relativ schnell mit einer Grundstimmung konfrontiert, die nicht angenehm ist. Nämlich der, die alles, was nicht aus Wien kommt, als Provinzler abgestempelt. Das ist vielen Österreichern, die nicht aus Wien kommen, unangenehm. Wenn ich irgendwo hinkomme, und ich habe das Gefühl, ich bin quasi der Bauer aus Wien, dann ist das nicht angenehm. In Berlin wird man als Österreicher mit sehr offenen Armen empfangen. und das ist schon sehr angenehm. In Wien kommt das im Subtext dann schon so ein "Wo kommst du denn her?" mit.

G.: Ja, in Berlin ist das nicht so stark ausgeprägt. Wenn man da aus der deutschen Provinz kommt, dann ist man hier schnell unter seinesgleichen und wird man schnell aufgenommen.
J.: In Berlin ist jeder irgendwann mal zugezogen. Man hat so das Gefühl, dass die Österreicher und Österreich ganz positiv besetzt sind: Da ist man mal in den Urlaub hingefahren, da gibt es eine schöne Landschaft, das sind gemütliche Leute und sowas. Das spürt man.
Es ist halt was anderes, wenn man mal auf den Tisch haut und ernst genommen werden will, dann kann es schon mal sein, dass man als der kleine Bruder wahrgenommen wird, der mal wieder etwas besänftigt werden muss. Wenn man aber interessanterweise ein paar Jahre in Berlin gewohnt hat und kommt dann zurück nach Wien, dann sind die Wiener ganz brav und sagen: Ok, der war ja schon mal in Berlin. Man hat dieses Provinzlerdasein dann quasi abgehäutet.

G.: Die Platte hast du bei Alex Ott in Kreuzberg aufgenommen, wie seid ihr denn zusammengekommen? Was war für dich das Beste an der Arbeit zu den Aufnahmen mit ihm?
J.: Ein österreichischer Freund von mir, ein Musiker, wohnt schon länger als ich in Berlin. Der hat genau neben Alex‘ Studio einen Proberaum und meinte, wenn wir live aufnehmen wollen, ist das ein Tipp für uns. Es war immer eine gute Stimmung und ich hatte das Gefühl, dass Alex den Kern des Projekts erfassen und auf Tonträger bringen will. Spannende, für mich undenkbare und neue Aufnahmetechniken. Wir haben das Ding in nur zwei Tagen reingespielt, wie und warum das möglich war, ist zu einem guten Teil Alex' Verdienst.

G.: Du hast gesagt, dass ihr die Songs live im Studio aufgenommen habt. Warum war es für dich wichtig?
J.: Weil ich will das das so klingt wie in 'Echt'. Wir haben erstmals auch mit Live Monitoring aufgenommen (d.h. nicht jeder hört seinen eigenen Mix über Kopfhörer) sondern tatsächlich so, dass jeder dasselbe hört, weil es einen Speaker im Raum gibt - die minimalen Übersprechungen sind das enorme Plus an 'Feeling' echt wert. Einige Nummern haben wir tatsächlich mit einem Mikro in der Raummitte und einem Gesangsmikro aufgenommen - verrückt ist das eigentlich. Einige der Songs sind 'First takes' - wir waren nicht auf eine aalglatte Produktion aus, wir wollten dass das Ding so klingt wie das 'Gute Schlechte Laune Orchester' und Jo Strauss nun einmal klingen.

G.: Wo wohnst du eigentlich in Berlin?
J.: In Prenzlauer Berg.

T.: Das ist ja auch ein Bezirk, der sich sehr verändert hat und sehr bürgerlich geworden ist...
J.: Der hat sich in den letzten zehn Jahren ganz groß bewegt. Ich kenne Leute die den Prenzlauer Berg vor 20 Jahren beschreiben und das war wild. Jetzt ist das Gefährlichste in Prenzlauer Berg, dass dich ein Kinderwagen überrollt.

G.: Nervt dich das?
J.: Es ist eine Bewegung, die sich hier einfach so ergibt. Man stimmt halt so zu. Man sagt halt: Ok, ich gebe auch zu, dass ich es abends gern ruhig habe. Nur ertappt man sich dann dabei, dass man auch zugestimmt hat, dass die Kneipe am Eck dann zugesperrt hat. Und so verändert sich das. Es tut mir ein bisschen weh, aber ich muss auch gestehen, dass ich zu dieser Bewegung auch beitrage. Man sieht halt da wirklich beim Sterben zu und sagt dann aber auch: Ok, ich zahle halt mal eine Fuffi mehr Miete und spiele quasi das Spiel selber mit...

G.: Wo wir dann wieder beim Thema "Berlin stirbt" wären... Das Schöne, Kreative Unfertige von Berlin bleibt dabei auf der Strecke. Auf deiner Homepage steht als Infotext zu dir und deiner Musik "Schreibt Lieder, die den Menschen das Herz aus der Brust reißen, es auf den Boden schmeißen und dann gehörig darauf herumtrampeln sollen!" Ich finde, das klingt voll hart. Soll man leiden, wenn man deine Musik hört?
J.: Das wurde mir so von einem Journalisten hingedichtet. Ich habe mir da selber noch keine Geschichte zu ausgedacht. Man könnte es so auslegen, dass ein Großteil der Nummern ganz schön daherkommen und dann in den letzten Teilen dann so eine Wendung kriegen, die dann schmerzt. Man hört der Geschichte zu und denkt: Oh wunderschön, wie die so dahinplätschert und am Ende kommt dann eine kleine Wendung rein, die das ganze Ding auf den Kopf stellt. Wo einem das Lachen dann im Hals stecken bleibt.

G.: Das klingt für mich sehr typisch österreichisch, nach sehr schwarzem Humor. Wie wichtig ist der für dich beim Musikmachen und Texte?
J.: Schwarzer Humor ist großartig wichtig. man muss über dir Grausamkeiten schon schmunzeln können. Oder wie es bei Blaubart ist, so das ganz grobe Zeug. So der Geisterbahngrusel. Wir wissen eh, dass es nur ein Spiel ist und jetzt hüpfen wir mal da rein, und gruseln uns mal so richtig, aber nur weil wir wissen, dass es ein Spiel ist.

G.: Als ich die Platte gehört habe, dachte ich: Hmm, es ist ziemlich düster und makaber, aber auch unterhaltsam. Die Songs sind geil, und da singt einer in einem harten österreichischen Dialekt und kommt aus Österreich. Was hältst du in dem Zusammenhang eigentlich von dem Begriff Austropop?
J.: Schwierig. Austropop, wenn man das so hört und ganz eng steckt, ist das irgendwelcher grässlicher Schaum, der oben schwimmt, den man da sieht. Aber in der Tiefe des Austropops gibt es ganz großartige Sachen, die versteht man nicht so unter Austropop. Man denkt da gleich an Fendrich und so. und man sieht nur das dünne zeug, aber es geht im Austropop weit nach unten.

G.: Aber wäre das ein Begriff, ein Genre, das du auf deine Musik anwenden würdest?
J.: Ich glaube ja, weil sich sonst kein Begriff etabliert hat. Wenn man sagt es ist Singer/Songwriter oder Folk, dann wird auch gleich gefragt: Wie, und du singst deutsch? Es gibt keinen richtigen Begriff dafür, deshalb kann ich mit Austropop schon leben. Eben weil ich weiß, dass es da weit in die Tiefe geht.

G.: Ich musste bei vielen Songs auch an das denken, was Tom Waits so auf seinen Platten treibt. Ist der ein Einfluss für dich?
J.: Tom Waits ist auf alle Fälle ein Einfluss, vor allem die Rauheit, wie sie sich im Instrumentalen so findet, habe ich sehr gern. Im Austropop hat man sich dahingehend beispielsweise nie sehr weit aus dem Fenster gelehnt, dass man sagt: Jetzt lassen wir die Band mal so spielen, wie sie spielt und machen da nicht mit dem Bügeleisen drüber alles glatt.

G.: Unter deinen Mails zum Terminfindung für dieses Interview steht in der Signatur immer „Sitzmusik und ein bisschen Kabarett“. Wie kann man sich das live vorstellen?
J.: Es ist tatsächlich so eine Mischung aus Konzert und Kleinkunstabend. Zwischen den Nummern werden immer Geschichten erzählt oder ich erzähle Geschichten zu den Musikern. Es ist oft schon lustig, wenn ich einfach was erzähle, obwohl ich selber manchmal nicht genau weiß, warum.
Ich habe gemerkt, dass es dem Abend sehr dienlich ist. Denn wenn ich in dieser Schwere einen Abend bestreite, ohne was zu sagen, dann denken die Leute nach der dritten Nummer: Was ist das für ein Arschloch? Depressiv, morbid und so?! Das ist ihnen oft zu schwer. Ich erzähle eh gerne was und dann merken die Leute auch: Ah, er ist eh ja doch ein Mensch.

G.: Bei den Texten fand ich sehr interessant, dass du bei den Lyrics ganz ausführliche Fußnoten gesetzt hast. Stand da die Angst im Raum hierzulande nicht von jedem verstanden werden zu können?
J.: Das war auf Geheiß meiner Berliner Freunde hin. Quasi nach der Devise: Mach doch mal eine Übersetzung der Texte, oder hilf uns ein bisschen. Weil es live so ist, dass sie doch gern ein bisschen mehr verstanden hätten. Da haben wir uns aber gesagt, einfach nur zu übersetzen ist auch blöd, weil dann sehr viel verloren ginge und so haben wir Fußnoten drangesetzt, damit die tatsächlich harten Brocken verständlich werden und wir nicht alles übersetzen müssen.

G.: Du studierst Philosophie in Berlin, beeinflusst so ein Studium deine Art Texte zu schreiben oder Musik zu machen?
J.: Es ist nicht ganz vordergründig, aber ich denke, es schleicht sich schon ein. Man blickt auf Dinge ein bisschen anders, wenn man sich mit der Philosophie beschäftigt. Alleine, dass man etwas studiert, wo es hinterher kein Geld zu verdienen gibt, das wirkt sich schon auf die Texte aus.

G.: Das „Berlin stirbt“-Video war das erste, was ich von dir auf YouTube gesehen habe. Ist das Absicht, dass es in einem Video, in dem es um Berlin geht, gar nichts von Berlin sieht?
J.: Absolut. Das ist definitiv so. Weil es ist anwendbar auf alles. Es können sich nicht nur die Städte austauschen, es ist auf alles im Leben anwendbar. Zustimmen zum langsamen Sterben, zur langsamen Veränderung und dann davor stehen: Oh Mist, ich habe das Ding wirklich selber verbockt. Ja, das ist austauschbar. Über Berlin zu singen und dazu Berlinbilder zu zeigen, das ist mir zu sehr straight in the face.

T.: Letzte Frage: Angenommen jemand legt im Kaffeehaus deine CD auf, und möchte sich dazu eine Kaffeespezialität bestellen. welche wäre da am passendsten?
J.: Ein Verlängerter. Schwarz.

G.: Jo, vielen Dank für das Gespräch! www.jo-strauss.at

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